Online-Publikation für Sozialrecht - sozialrechtliche Seminare - Politikberatung
Im SOZIALRECHT-JUSTAMENT März 2025 und auf meiner Internetseite www.sozialrecht-justament.de unter der Rubrik »Politikberatung/Digitalisierung« wurde problematisiert, dass seit dem 18.11.2024 die Nutzungsbedingungen des Postfachservice von jobcenter.digital geändert wurde.
Neu ist seit dem 18.11.2024: Nur wer der Online-Kommunikation zustimmt, kann den Postfachservice nutzen. Die Zustimmung beinhaltet zwingend auch die Zustimmung, künftig Bescheide und Schreiben des Jobcenters nur noch über den Postfachservice zugestellt zu bekommen. Eine Benachrichtigung darüber, dass neue Dokumente im Postfach zur Verfügung stehen, erfolgt per E-Mail. Wer der Online-Kommunikation nicht zustimmt, kann auch keine Unterlagen in das Postfach hochladen. Die neuen Geschäftsbedingungen können als »Digital. Ganz oder gar nicht« bezeichnet werden.
Die Möglichkeit des E-Mail-Versands haben viele Jobcenter weitgehend eingestellt. In dem Beitrag von Karin Walraven (Fachbereich Armut und Beschäftigung des Kreisdiakonieverbandes im Landkreis Esslingen) auf www.sozialrecht-justament.de wurde dargestellt, dass die neuen »Geschäftsbedingungen« für manche Leistungsberechtigte äußerst problematisch sind. Sie können zwar, zum Teil mit der Unterstützung von Beratungsstellen, Dokumente ins Postfach hochladen, haben aber Schwierigkeiten damit, das Postfach zu beachten und Dokumente herunterzuladen.
Für Probleme mit dem Postfachservice als Form der rechtlich wirksamen Zustellung von Bescheiden kann es unterschiedliche Gründe geben, die ich hier mit Verweis auf den untenstehenden Beitrag »Erfahrungen mit der digitalen Kommunikation mit dem Jobcenter - Digitalzwang beendet eine gute Möglichkeit« nicht weiter wiederhole.
Die Linke hat die Beiträge auf www.sozialrecht-justament.de zum Anlass genommen, bei der Bundesregierung nachzufragen. Die Abgeordnete Heidi Reichinnek stellte folgende schriftliche Frage (veröffentlicht in: BT-Drucksache 20/15135 vom 21.3.2025):
Warum erzwingt die Bundesagentur für Arbeit nach Kenntnis der Bundesregierung seit dem 18. November 2024 die Einwilligung zur ausschließlichen Online-Kommunikation ohne Wahlmöglichkeit in der Jobcenter-App „jobcenter-digital“, so dass unter anderem die Möglichkeit des Hochladens von Anträgen und Unterlagen damit verknüpft ist, dass eine Einwilligung zum Abruf von Verwaltungsakten gemäß § 37 Absatz 2a des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch erteilt wurde (vgl. etwa Beiträge von Karin Walraven und Bernd Eckhardt vom 4. März 2025, www.sozialrecht-justament.de/politikberatung/digitalisierung), und wie bewertet die Bundesregierung diesen Kopplungszwang?
Die Bundesregierung antwortet, dass die einseitige Nutzung des Postfachservices nur für das Hochladen von Unterlagen möglich sei, die Schreiben des Jobcenters auf Wunsch aber weiterhin postalisch übersandt werden.Die Antwort der Bundesregierung erstaunt, steht sie doch im Widerspruch zu den Verlautbarungen der Arbeitsagentur im Internet. Die zentrale Aussage der Bundesregierung (Staatssekretärin Annette Kramme für das BMAS) lautet:
Für die Nutzung des Dokumentenuploads mittels jobcenter.digital oder der Jobcenter-App ist keine Einwilligung zur Online-Kommunikation mit der gemeinsamen Einrichtung erforderlich.
Daraufhin habe ich der Zentrale der Bundesagentur die Frage gestellt, ob dies möglich sei. Die Antwort (E-Mail vom 20.3.2025, da Antwort der Bundesregierung mir bekannt war) ist eindeutig (Hervorh. B.E.):
Solange die Online-Kommunikation deaktiviert ist, ist das Hochladen von Dateien über die Jobcenter.digital und Jobcenter-App nicht möglich, und es erfolgt alles auf dem Postweg. Durch die Einstellung der Online-Kommunikation werden die Bescheide ausschließlich online in Ihrem Kundenkonto bereitgestellt
Offenbar ist dies der Bundesregierung nicht bekannt oder aber die Auskunft der Bundesagentur für Arbeit trifft nicht zu.
Auf eine weitere Nachfrage der Linken beim Hauptstadtbüro der Bundesagentur für Arbeit wurde laut der Linken mitgeteilt:
Von der Startseite der App ("Mein Bereich") darf nicht gleich oben auf auf die Kachel "Anträge" oder ganz unten "Nachrichten" geklickt werden, sondern erst recht weit unten auf Kachel "Dateien hochladen". Dies sei ohne Einwilligung in die digitale Zustellung von Bescheiden möglich.
Falls auf die anderen Kacheln, vor allem "Nachrichten" geklickt werde, dann würde die Einwilligung abgefragt.
Das Hauptstadtbüro hat angeboten, dass, wenn wir vertraulich Screenshots von einer betroffenen Person bzw. eine genaue Beschreibung vom Einloggen in die Jobcenter App bis zum Auftauchen des Problems, dass Unterlagen nicht hochgeladen werden können, liefern, Sie sich genauer in die Problemanalyse reinbeugen und Lösungswege aufzeigen bzw. erarbeiten würden. Falls das Problem mit dem beschriebenen Weg nicht mehr besteht, würde die BA auf Wunsch auch eine Beschreibung mit Screen-Shots erstellen, die öffentlich verwendet werden kann.
Am 27.03.2025 habe ich mich über die bundID beim jobcenter.digital angemeldet und einen Antrag gestellt. Ein Hochladen über den Postfachservice war nur über die Zustimmung der Online-Kommunikation möglich. Da ich den Antrag nicht vollständig ausgefüllt habe, konnte ich nicht feststellen, ob anschließend eine weitere Möglichkeit des Hochladens am PC zur Verfügung steht. Auf die sozialrechtliche Problematik des digital-informationellen Umgangs mit unvollständigen Antragsformularen werde ich an andere Stelle eingehen. Hierzu Constanze Janda, Zugänglichkeit des Sozialstaats, DIFIS Studie 2024/9, S. 19 (Hervorh. B.E.):
… das Antragsprinzip hat gerade nicht die Funktion, die Sozialverwaltung vor Arbeitsanfall zu schützen. Vielmehr muss diese im Zusammenwirken mit den Leistungsberechtigten, insbesondere durch Beratung und „Ko-Produktion“ – also die gemeinsame Erarbeitung des gebotenen Vorgehens (Pitschas 2004, S. 767–768) – im Sozialrechtsverhältnis die Voraussetzungen selbstbestimmter und eigenverantwortlicher Lebensführung erst herstellen
Die Verlagerung eines Teils der Aufgaben der Sachbearbeitung (Übersetzung von Anliegen in bearbeitbare Anträge) auf die Leistungsberechtigten selbst, führt bei benachteiligten Personengruppen zum Ausschluss.
Tatsächlich ist das Fortsetzen eines Antrags digital nicht möglich, wenn ein Punkt nicht korrekt ausgefüllt wurde. Auch ich bin daran gescheitert. Die Hilfemöglichkeiten, die angeboten werden, sind schematisch und nicht hilfreich. Die Verlagerung von Aufgaben der Sachbearbeitung (Aufnehmen des Anliegens und Übersetzung in bearbeitbare Antragsaufnahme) auf die Leistungsberechtigten selbst, führt zu Verschiebungen im Sozialrechtsverhältnis, die bei besonders benachteiligten Personengruppen ausschließende Wirkung haben.
Ungeachtet dessen, ob es die Möglichkeit des Hochladens über Umwege gibt oder nicht, kann festgestellt werden, dass bei der Abfrage zur Zustimmung zur Online-Kommunikation nicht auf diese Möglichkeit hingewiesen wird. Verständige Nutzer*innen können hier nur folgern, dass eine Zustimmung zur Online-Kommunikation auch zum Uploaden notwendig ist. Die Aussage, die ich vom technischen Support der BA erhielt, war eindeutig:
Solange die Online-Kommunikation deaktiviert ist, ist das Hochladen von Dateien über die Jobcenter.digital und Jobcenter-App nicht möglich.
Falls die Bundesagentur in der nächsten Version der App und Jobcenter.digital an exponierter Stelle einen Hinweis auf die Möglichkeit der (zusätzlichen) postalischen Zustellung von Bescheiden geben würde, wäre dies äußerst hilfreich. Nichts spricht dagegen, dass neben der Zustellung im Postfachservice auch eine postalische Zustellung erfolgt.
Der Bundesagentur für Arbeit hat nicht bedacht, dass die Änderungen der Geschäftsbedingungen für manche Nutzer*innen von jobcenter.digital äußerst problematisch sind.
Der Fehler ist systemischer Art, da die Bundesagentur für Arbeit Leistungsberechtigte nicht als »Stakeholder« des Digitalisierungsprozesses betrachtet.
Bei der Vorstellung der Jobcenter App hieß es seitens des Projektverantwortlichen (Kai Beerbohm, https://www.sgb2.info/DE/Praxisblick/Meldung/Jobcenter-App.html) zwar:
In einem großen und breiten Beteiligungsprozess haben wir im Vorhinein verschiedenste Zielgruppen zusammengebracht, um am Konzept der App zu arbeiten. Darunter waren 14 Jobcenter, aber auch die BA, Vertreterinnen und Vertreter der Länder und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sowie Leistungsberechtigte und viele mehr. Gemeinsam haben wir zahlreiche Workshops durchgeführt und die Funktionen der App definiert.
Das hört sich zunächst ganz gut an. Eine große Anzahl von »Stakeholdern« erzwingt nach der Methodenlehre aber eine Fokussierung auf bestimmte Wünsche und Bedürfnisse hervorgehobener Stakeholder. So heißt es weiter im Interview:
Der größte Vorteil der App liegt darin, dass wir bei den bestehenden Systemen ansetzen. Es gibt verschiedene Programme, mit denen die Mitarbeitenden der gemeinsamen Einrichtungen in ihrem Arbeitsalltag umgehen. Und die Jobcenter-App setzt genau dort an. Einfach gesagt: Mit der App landet alles in der Kommunikation zwischen Leistungsberechtigten und Jobcenter da, wo es hin soll. Die Kolleginnen und Kollegen müssen nicht den Umgang mit neuen Programmen lernen. Und die Leistungsberechtigten sind nicht mehr auf unsichere Kommunikationswege wie zum Beispiel E-Mails angewiesen. Davon wollten wir dringend weg.
Letztendlich folgt die Jobcenter App in erster Linie den Interessen der durch hohes Arbeitsaufkommen belasteten Mitarbeitenden der Jobcenter und den Zielen der Bundesagentur für Arbeit, die sich einer umfassenden Digitalisierungsstrategie verschrieben hat. Die Anbindung der Fachverfahrenssoftware ALLEGRO und des Managementsystems der E-Akte mit der Software des Onlinezugangs steht daher im Vordergrund.
Der Projektleiter hat im gleichen Interview aber auch betont, dass jobcenter.digital und die Jobcenter App in Zukunft weiterentwickelt werden sollen.
Es gibt bereits jetzt viele Ideen, was da alles noch möglich ist. Wir werden erstmal mit der aktuellen Version 1.0 am 14. Januar 2025 an den Start gehen und die Weiterentwicklung agil vorantreiben. Das bedeutet, dass wir dann konkret schauen: Wie ist das Feedback im tatsächlichen Betrieb? Hier müssen wir das Thema immer aus Perspektive der Bürgerinnen und Bürger aber auch der gemeinsamen Einrichtungen betrachten und Weiterentwicklungen abwägen.
Hierzu möchte ich an dieser Stelle aus Sicht der Sozialen Arbeit der Projektleitung eine Anregung geben.
Die Gruppe der Menschen, die SGB II-Leistungen beziehen, ist äußerst vielschichtig. Es gibt Leistungsberechtigte, die keinerlei Probleme mit den neuen »Geschäftsbedingungen« der Online-Kommunikation haben und es vielleicht auch begrüßen, wenn die Schreiben des Jobcenters nur noch im Online-Postfach liegen. Es gibt aber auch viele Leistungsberechtigte, die nicht auf die postalische Zustellung verzichten wollen, weil sie weder ihre E-Mails noch das Postfach immer im Auge haben können. Dennoch wünschen sich viele, die sichere Übermittlung von Schreiben und Anträge zum Teil mit Unterstützung von Beratungsstellen nutzen zu können. Ein Teil dieser Personengruppe kann auf Grund von Benachteiligungen die Online-Zustellung nicht ohne erhebliches Risiko nutzen.
Diese Gruppe von Leistungsberechtigten von der digitalen Teilhabe auszuschließen, ist bedenklich, zumal das Jobcenter andere Zugangswege zur Übermittlung von z.B. Anträgen (Telefon, Fax-Geräte, E-Mail) zunehmend ausschließt. Das jobcenter.digital und die Jobcenter App sollte die Wahl-Möglichkeit schaffen, dass zwar ein Hochladen möglich ist, aber dennoch eine postalische Zustellung erfolgt.
Bei Softwareprojekten bildet oftmals die Schnittstellenproblematik eine große Herausforderung. Fachverfahren, elektronisches Aktenmanagement und Online-Zugänge sollen reibungslos verknüpft werden. Theoretisch und praktisch unreflektiert bleibt die Schnittstelle zwischen Lebenswelt und Systemen. Diese Schnittstelle besteht nicht nur bei Softwarelösungen und Online-Zugängen, sondern stets auch im Analogen. Sie gewinnt aber bei der Digitalisierung neue Bedeutung.
Die Schnittstelle zwischen den Lebenswelten Leistungsberechtigter und den sozialen Sicherungssystemen, die nun zunehmen digital nachgebildet werden, bleibt bisher unterbelichtet. Beratungsstellen können hier als Mittlerinnen fungieren. Professionelle soziale Beratungsstellen sind keine Software-Entwickler*innen. Sie können aber Problemanzeigen einbringen, wie in dem Beitrag von Karin Walraven geschehen, die zu einer stärkeren Berücksichtigung der wichtigsten Stakeholder führen sollten. Das sind die besonders benachteiligten, auf Bürgergeld angewiesenen Personengruppen. Die »Zugänglichkeit des Sozialstaats« (Constanze Janda) ist auch eine Frage des Rechts.
Auf vielen Internetseiten von Jobcentern findet sich die Information, dass das Versenden von Nachrichten/Unterlangen ohne Zustimmung zur Online-Kommunikation nicht möglich ist. Derzeit finden sich auf der Startseite des Jobcenters Saalfeld-Rudolstadt sogar folgende Informationen zum Weiterbewilligungsantrag:
*** Weiterbewilligungsanträge zum Bürgergeld ab 1. Dezember nur noch online ***
Wir möchten Sie darüber informieren, dass der Versand von Beendigungsschreiben und dem entsprechenden Weiterbewilligungsantrag ab Oktober 2024 eingestellt wird. Dies betrifft Bewilligungszeiträume ab Dezember 2024.
Der Weiterbewilligungsantrag ist über jobcenter.digital zu stellen.
Impressum:
Bernd Eckhardt, Ludwig-Feuerbach-Straße 75, 90489 Nürnberg
bernd.eckhardt@sozialrecht-justament.de