SOZIALRECHT-JUSTAMENT       

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Entgegen der ersten Auskunft der Bundesagentur für Arbeit und Informationen der Jobcenter ist ein Upload von Unterlagen auch ohne Zustimmung zur Online-Kommunikation möglich

Im SOZIALRECHT-JUSTAMENT März 2025 und auf meiner Internetseite www.sozialrecht-justament.de unter der Rubrik »Politikberatung/Digitalisierung« wurde problematisiert, dass seit dem 18.11.2024 die Nutzungsbedingungen des Postfachservice von jobcenter.digital geändert wurde. 

Neu ist seit dem 18.11.2024: Nur wer der Online-Kommunikation zustimmt, kann den Postfachservice nutzen. Die Zustimmung beinhaltet zwingend auch die Zustimmung, künftig Bescheide und Schreiben des Jobcenters nur noch über den Postfachservice zugestellt zu bekommen.  Eine Benachrichtigung darüber, dass neue Dokumente im Postfach zur Verfügung stehen, erfolgt per E-Mail. Wer der Online-Kommunikation nicht zustimmt, kann auch keine Unterlagen in das Postfach hochladen. Die neuen Geschäftsbedingungen können als »Digital. Ganz oder gar nicht« bezeichnet werden.


Die Möglichkeit des E-Mail-Versands haben viele Jobcenter weitgehend eingestellt. In dem Beitrag von Karin Walraven (Fachbereich Armut und Beschäftigung des Kreisdiakonieverbandes im Landkreis Esslingen) auf www.sozialrecht-justament.de wurde dargestellt, dass die neuen »Geschäftsbedingungen« für manche Leistungsberechtigte äußerst problematisch sind. Sie können zwar, zum Teil mit der Unterstützung von Beratungsstellen, Dokumente ins Postfach hochladen, haben aber Schwierigkeiten damit, das Postfach zu beachten und Dokumente herunterzuladen. 

Für Probleme mit dem Postfachservice als Form der rechtlich wirksamen Zustellung von Bescheiden kann es unterschiedliche Gründe geben, die ich hier mit Verweis auf den untenstehenden Beitrag »Erfahrungen mit der digitalen Kommunikation mit dem Jobcenter - Digitalzwang beendet eine gute Möglichkeit« nicht weiter wiederhole.


Die Linke hat die Beiträge auf www.sozialrecht-justament.de zum Anlass genommen, bei der Bundesregierung nachzufragen. Die Abgeordnete Heidi Reichinnek stellte folgende schriftliche Frage (veröffentlicht in: BT-Drucksache 20/15135 vom 21.3.2025):


Warum erzwingt die Bundesagentur für Arbeit nach Kenntnis der Bundesregierung seit dem 18. November 2024 die Einwilligung zur ausschließlichen Online-Kommunikation ohne Wahlmöglichkeit in der Jobcenter-App „jobcenter-digital“, so dass unter anderem die Möglichkeit des Hochladens von Anträgen und Unterlagen damit verknüpft ist, dass eine Einwilligung zum Abruf von Verwaltungsakten gemäß § 37 Absatz 2a des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch erteilt wurde (vgl. etwa Beiträge von Karin Walraven und Bernd Eckhardt vom 4. März 2025, www.sozialrecht-justament.de/politikberatung/digitalisierung), und wie bewertet die Bundesregierung diesen Kopplungszwang?



Die Bundesregierung antwortet, dass die einseitige Nutzung des Postfachservices nur für das Hochladen von Unterlagen möglich sei, die Schreiben des Jobcenters auf Wunsch aber weiterhin postalisch übersandt werden.Die Antwort der Bundesregierung erstaunt, steht sie doch im Widerspruch zu den Verlautbarungen der Arbeitsagentur im Internet. Die zentrale Aussage der Bundesregierung (Staatssekretärin Annette Kramme für das BMAS) lautet:


Für die Nutzung des Dokumentenuploads mittels jobcenter.digital oder der Jobcenter-App ist  keine  Einwilligung zur Online-Kommunikation mit der gemeinsamen Einrichtung erforderlich.


Daraufhin habe ich der Zentrale der Bundesagentur die Frage gestellt, ob dies möglich sei. Die Antwort (E-Mail vom 20.3.2025, da Antwort der Bundesregierung mir bekannt war) ist eindeutig (Hervorh. B.E.):


Solange die Online-Kommunikation deaktiviert ist,  ist das Hochladen von Dateien über die Jobcenter.digital und Jobcenter-App nicht möglich, und es erfolgt alles auf dem Postweg. Durch die Einstellung der Online-Kommunikation werden die Bescheide ausschließlich online in Ihrem Kundenkonto bereitgestellt


Offenbar ist dies der Bundesregierung nicht bekannt oder aber die Auskunft der Bundesagentur für Arbeit trifft nicht zu.

Auf eine weitere Nachfrage der Linken beim Hauptstadtbüro der Bundesagentur für Arbeit wurde laut der Linken mitgeteilt:


Von der Startseite der App ("Mein Bereich") darf nicht gleich oben auf auf die Kachel "Anträge" oder ganz unten "Nachrichten" geklickt werden, sondern erst recht weit unten auf Kachel "Dateien hochladen". Dies sei ohne Einwilligung in die digitale Zustellung von Bescheiden möglich.

Falls auf die anderen Kacheln, vor allem "Nachrichten" geklickt werde, dann würde die Einwilligung abgefragt. 

Das Hauptstadtbüro hat angeboten, dass, wenn wir vertraulich Screenshots von einer betroffenen Person bzw. eine genaue Beschreibung vom Einloggen in die Jobcenter App bis zum Auftauchen des Problems, dass Unterlagen nicht hochgeladen werden können, liefern, Sie sich genauer in die Problemanalyse reinbeugen und Lösungswege aufzeigen bzw. erarbeiten würden. Falls das Problem mit dem beschriebenen Weg nicht mehr besteht, würde die BA auf Wunsch auch eine Beschreibung mit Screen-Shots erstellen, die öffentlich verwendet werden kann.


Mein Selbstversuch ist gescheitert:


Am 27.03.2025 habe ich mich über die bundID beim jobcenter.digital angemeldet und einen Antrag gestellt. Ein Hochladen über den Postfachservice war nur über die Zustimmung der Online-Kommunikation möglich. Da ich den Antrag nicht vollständig ausgefüllt habe, konnte ich nicht feststellen, ob anschließend eine weitere Möglichkeit des Hochladens am PC zur Verfügung steht. Auf die sozialrechtliche Problematik des digital-informationellen Umgangs mit unvollständigen Antragsformularen werde ich an andere Stelle eingehen. Hierzu Constanze Janda, Zugänglichkeit des Sozialstaats, DIFIS Studie 2024/9, S. 19 (Hervorh. B.E.):


… das Antragsprinzip hat gerade nicht die Funktion, die Sozialverwaltung vor Arbeitsanfall zu schützen. Vielmehr muss diese im Zusammenwirken mit den Leistungsberechtigten, insbesondere durch Beratung und „Ko-Produktion“ – also die gemeinsame Erarbeitung des gebotenen Vorgehens (Pitschas 2004, S. 767–768) – im Sozialrechtsverhältnis die Voraussetzungen selbstbestimmter und eigenverantwortlicher Lebensführung erst herstellen


Die Verlagerung eines Teils der Aufgaben der Sachbearbeitung (Übersetzung von Anliegen in bearbeitbare Anträge) auf die Leistungsberechtigten selbst, führt bei benachteiligten Personengruppen zum Ausschluss. 

Tatsächlich ist das Fortsetzen eines Antrags digital nicht möglich, wenn ein Punkt nicht korrekt ausgefüllt wurde. Auch ich bin daran gescheitert. Die Hilfemöglichkeiten, die angeboten werden, sind schematisch und nicht hilfreich. Die Verlagerung von Aufgaben der Sachbearbeitung (Aufnehmen des Anliegens und Übersetzung in bearbeitbare Antragsaufnahme) auf die Leistungsberechtigten selbst, führt zu Verschiebungen im Sozialrechtsverhältnis, die bei besonders benachteiligten Personengruppen ausschließende Wirkung haben.


Bei Aktivierung der App wird auf die Zustimmung zur Online-Kommunikation hingewiesen - die Möglichkeit, die App nur zum Hochladen zu verwenden, ist nicht erkennbar


Ungeachtet dessen, ob es die Möglichkeit des Hochladens über Umwege gibt oder nicht, kann festgestellt werden, dass bei der Abfrage zur Zustimmung zur Online-Kommunikation nicht auf diese Möglichkeit hingewiesen wird. Verständige Nutzer*innen können hier nur folgern, dass eine Zustimmung zur Online-Kommunikation auch zum Uploaden notwendig ist. Die Aussage, die ich vom technischen Support der BA erhielt, war eindeutig: 


Solange die Online-Kommunikation deaktiviert ist, ist das Hochladen von Dateien über die Jobcenter.digital und Jobcenter-App nicht möglich.


Falls die Bundesagentur in der nächsten Version der App und Jobcenter.digital an exponierter Stelle einen Hinweis auf die Möglichkeit der (zusätzlichen) postalischen Zustellung von Bescheiden geben würde, wäre dies äußerst hilfreich. Nichts spricht dagegen, dass neben  der Zustellung im Postfachservice auch eine postalische Zustellung erfolgt.

Der Bundesagentur für Arbeit hat nicht bedacht, dass die Änderungen der Geschäftsbedingungen für manche Nutzer*innen von jobcenter.digital äußerst problematisch sind. 


Systemischer Fehler bei der Software-Entwicklung - Leistungsberechtigte nicht als »Stakeholder« beachtet


Der Fehler ist systemischer Art, da die Bundesagentur für Arbeit Leistungsberechtigte nicht als »Stakeholder« des Digitalisierungsprozesses betrachtet. 

Bei der Vorstellung der Jobcenter App hieß es seitens des Projektverantwortlichen (Kai Beerbohm, https://www.sgb2.info/DE/Praxisblick/Meldung/Jobcenter-App.html) zwar:


In einem großen und breiten Beteiligungsprozess haben wir im Vorhinein verschiedenste Zielgruppen zusammengebracht, um am Konzept der App zu arbeiten. Darunter waren 14 Jobcenter, aber auch die BA, Vertreterinnen und Vertreter der Länder und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sowie Leistungsberechtigte und viele mehr. Gemeinsam haben wir zahlreiche Workshops durchgeführt und die Funktionen der App definiert.


Das hört sich zunächst ganz gut an. Eine große Anzahl von »Stakeholdern« erzwingt nach der Methodenlehre aber eine Fokussierung auf bestimmte Wünsche und Bedürfnisse hervorgehobener Stakeholder. So heißt es weiter im Interview:


Der größte Vorteil der App liegt darin, dass wir bei den bestehenden Systemen ansetzen. Es gibt verschiedene Programme, mit denen die Mitarbeitenden der gemeinsamen Einrichtungen in ihrem Arbeitsalltag umgehen. Und die Jobcenter-App setzt genau dort an. Einfach gesagt: Mit der App landet alles in der Kommunikation zwischen Leistungsberechtigten und Jobcenter da, wo es hin soll. Die Kolleginnen und Kollegen müssen nicht den Umgang mit neuen Programmen lernen.  Und die Leistungsberechtigten sind nicht mehr auf unsichere Kommunikationswege wie zum Beispiel E-Mails angewiesen. Davon wollten wir dringend weg.


Letztendlich folgt die Jobcenter App in erster Linie den Interessen der durch hohes Arbeitsaufkommen belasteten Mitarbeitenden der Jobcenter und den Zielen der Bundesagentur für Arbeit, die sich einer umfassenden Digitalisierungsstrategie verschrieben hat. Die Anbindung der Fachverfahrenssoftware ALLEGRO und des Managementsystems der E-Akte mit der Software des Onlinezugangs steht daher im Vordergrund. 


Änderungen möglich


Der Projektleiter hat im gleichen Interview aber auch betont, dass jobcenter.digital und die Jobcenter App in Zukunft weiterentwickelt werden sollen. 


Es gibt bereits jetzt viele Ideen, was da alles noch möglich ist. Wir werden erstmal mit der aktuellen Version 1.0 am 14. Januar 2025 an den Start gehen und die Weiterentwicklung agil vorantreiben. Das bedeutet, dass wir dann konkret schauen: Wie ist das Feedback im tatsächlichen Betrieb? Hier müssen wir das Thema immer aus Perspektive der Bürgerinnen und Bürger aber auch der gemeinsamen Einrichtungen betrachten und Weiterentwicklungen abwägen.


Hierzu möchte ich an dieser Stelle aus Sicht der Sozialen Arbeit der Projektleitung eine Anregung geben. 

Die Gruppe der Menschen, die SGB II-Leistungen beziehen, ist äußerst vielschichtig. Es gibt Leistungsberechtigte, die keinerlei Probleme mit den neuen »Geschäftsbedingungen« der Online-Kommunikation haben und es vielleicht auch begrüßen, wenn die Schreiben des Jobcenters nur noch im Online-Postfach liegen. Es gibt aber auch viele Leistungsberechtigte, die nicht auf die postalische Zustellung verzichten wollen, weil sie weder ihre E-Mails noch das Postfach immer im Auge haben können. Dennoch wünschen sich viele, die sichere Übermittlung von Schreiben und Anträge zum Teil mit Unterstützung von Beratungsstellen nutzen zu können. Ein Teil dieser Personengruppe kann auf Grund von Benachteiligungen die Online-Zustellung nicht ohne erhebliches Risiko nutzen. 

Diese Gruppe von Leistungsberechtigten von der digitalen Teilhabe auszuschließen, ist bedenklich, zumal das Jobcenter andere Zugangswege zur Übermittlung von z.B. Anträgen (Telefon, Fax-Geräte, E-Mail) zunehmend ausschließt. Das jobcenter.digital und die Jobcenter App sollte die Wahl-Möglichkeit schaffen, dass zwar ein Hochladen möglich ist, aber dennoch eine postalische Zustellung erfolgt. 


Schnittstelle System/Lebenswelt


Bei Softwareprojekten bildet oftmals die Schnittstellenproblematik eine große Herausforderung. Fachverfahren, elektronisches Aktenmanagement und Online-Zugänge sollen reibungslos verknüpft werden. Theoretisch und praktisch unreflektiert bleibt die Schnittstelle zwischen Lebenswelt und Systemen.  Diese Schnittstelle besteht nicht nur bei Softwarelösungen und Online-Zugängen, sondern stets auch im Analogen. Sie gewinnt aber bei der Digitalisierung neue Bedeutung.

Die Schnittstelle zwischen den Lebenswelten Leistungsberechtigter und den sozialen Sicherungssystemen, die nun zunehmen digital nachgebildet werden, bleibt bisher unterbelichtet. Beratungsstellen können hier als Mittlerinnen fungieren. Professionelle soziale Beratungsstellen sind keine Software-Entwickler*innen. Sie können aber Problemanzeigen einbringen, wie in dem Beitrag von Karin Walraven geschehen, die zu einer stärkeren Berücksichtigung der wichtigsten Stakeholder führen sollten. Das sind die besonders benachteiligten, auf Bürgergeld angewiesenen Personengruppen. Die »Zugänglichkeit des Sozialstaats«  (Constanze Janda) ist auch eine Frage des Rechts. 


Forcierte Digitalisierungsstrategie treibt rechtswidrige Blüten


Auf vielen Internetseiten von Jobcentern findet sich die Information, dass das Versenden von Nachrichten/Unterlangen ohne Zustimmung zur Online-Kommunikation nicht möglich ist.  Derzeit finden sich auf der Startseite des Jobcenters Saalfeld-Rudolstadt sogar folgende Informationen zum Weiterbewilligungsantrag:


*** Weiterbewilligungsanträge zum Bürgergeld ab 1. Dezember nur noch online ***

Wir möchten Sie darüber informieren, dass der Versand von Beendigungsschreiben und dem entsprechenden Weiterbewilligungsantrag ab Oktober 2024 eingestellt wird. Dies betrifft Bewilligungszeiträume ab Dezember 2024.

Der Weiterbewilligungsantrag ist über jobcenter.digital zu stellen.


Digitalisierung und soziale Rechte

von Karin Walraven (Fachbereich Armut und Beschäftigung des Kreisdiakonieverbandes im Landkreis Esslingen) 4. März 2025
Im Jahr 2024 war in meiner Beratungsarbeit mit Menschen, die im Bürgergeldbezug sind, immer wieder der digitale Kontakt mit dem Jobcenter Thema. Damals lief es über eine Anmeldung auf der Webseite jobcenter.digital. Die überwiegende Mehrzahl meiner Klienten hat keinen Computer, aber ein Handy. Meist wird das Handy nur zum Telefonieren, für Whatsapp, Bilder machen und im Internet surfen genutzt. Weiter- und tiefergehende digitale Kompetenzen sind nicht vorhanden und schwer erlernbar. Alle Klienten hatten bisher ihre Unterlagen als Kopien an das Jobcenter geschickt, vor Ort eingeworfen oder sogar zur Abgabe einen Termin vereinbart. Unterlagen, die in Papierform beim Jobcenter eingehen können nach Hotline-Angaben und Erfahrungen aus der Praxis gut fünf bis sieben Arbeitstage benötigen, bis sie im Computersystem des Jobcenters vorliegen. Ab da zählt auch die interne Bearbeitungsfrist. Mit Unterstützung und oft über mehrere Beratungsgespräche hinweg war es
von Bernd Eckhardt 4. März 2025
Seit 18.11.2024 - Änderung der »Geschäftsbedingungen« beim jobcenter.digital: digitale Bekanntmachung von Verwaltungsakten Rechtliche Grundlagen der elektronischen Bekanntmachung von Verwaltungsakten im Sozialrecht Die Möglichkeit, einen Verwaltungsakt online bekanntzugeben, ist im § 9 des Onlinezugangsgeset­zes geregelt. Im Bereich des Sozialgesetzbuches gilt allerdings eine Spezialregelung, die § 9 OZG zu­mindest derzeit noch verdrängt. In § 37 Abs. 2a SGB X ist die digitale Bekanntmachung eines Ver­waltungsaktes durch Abruf über zugängliche Netze wie das Portal jobcenter.digital geregelt. In § 37 Abs. 2b SGB X ist festgelegt, dass bei Angelegenheiten des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes abweichend schon jetzt § 9 OZG anzuwenden ist. In der Gesetzesbegründung wird deutlich, dass mittelfristig die Aufgabe der sozialrechtlichen Son­derregelung angestrebt wird. § 37 Abs. 2a SGB II kann zumindest politisch als Übergangsregelung angesehen werden. So heißt es in der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 19/23774, Beschluss­empfehlung und Bericht Ausschuss für Inneres und Heimat vom 28.10.2020, Seite 26): Die mit der Bekanntgabe nach § 9 OZG verknüpfte Obliegenheit der Bürgerinnen und Bürger, das Portal regelmäßig auf Eingänge zu kontrollieren (vgl. dem Hausbriefkas­ten) soll zunächst schwerpunktmäßig im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht er­probt werden. Die Regelungen zur Bekanntgabe von elektronischen Verwaltungsakten zum Abruf mit Fiktionswirkung sollen nach der Evaluierung des § 9 OZG noch einmal in einer Gesamtschau mit der Zielsetzung einer einheitlichen Regelung geprüft werden. Die Erfahrungen mit der Bekanntgabe nach § 9 OZG, die beim Elterngeld gemacht werden, sollen bis Dezember 2025 evaluiert werden (ebd.): Die hiermit gewonnenen Erfahrungen können in eine zukünftige Prüfung einfließen, ob die Regelung zur Bekanntgabe in § 9 OZG gegebenenfalls auch hinsichtlich weiterer Sozialleistungsbereiche übernommen wird. Klar ist, dass die Politik mittelfristig eine einheitliche Möglichkeit der Bekanntgabe nach § 9 OZG anstrebt. Bis dahin gilt im Bereich des SGB II, dass § 37 Abs. 2a SGB X im Bereich des SGB II anzu­wenden ist . § 37 Abs. 2a Sätze 1 bis 3 SGB X lautet seit dem 10.12.2020: Mit Einwilligung des Beteiligten können elektronische Verwaltungsakte bekannt gege­ben werden, indem sie dem Beteiligten zum Abruf über öffentlich zugängliche Netze bereitgestellt werden . Die Einwilligung kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft wi­derrufen werden . Die Behörde hat zu gewährleisten, dass der Abruf nur nach Authenti­fizierung der berechtigten Person möglich ist und der elektronische Verwaltungsakt von ihr gespeichert werden kann. Neue Geschäftsbedingung der BA zur Nutzung von jobcenter.digital: ohne freiwillige Einwilligung kein Account Nun hat die Bundesagentur für Arbeit im Bereich des jobcenter.digital seine »Geschäftsbedingun­gen« so geändert, dass das jobcenter.digital nur noch nutzbar ist, wenn eine Einwilligung zur elekt­ronischen Bekanntgabe des Verwaltungsaktes vorliegt . Wer seit dem 18.11.2024 weiterhin jobcenter.digital nutzen will, muss der digitalen Bekanntgabe von Verwaltungsakten zustimmen. Die Änderungen der »Geschäftsbedingungen« der Bundesagentur für Arbeit beschränken den Zu­gang zum jobcenter.digital auf einen Anwenderkreis, der bereit ist, Bescheide nur noch elektronisch im Portal zu empfangen. Wer nicht dazu bereit ist, kann nunmehr jobcenter.digital nicht weiter nut­zen. Auf der folgenden Seite finden Sie die Informationen eines Jobcenters zu den Änderungen, die bundesweit ab dem 18.11.2024 für Jobcenter in gemeinsamer Trägerschaft von Kommunen und der Arbeitsagentur gelten: Leider kann der Srennshot nicht in den Blog-Beitrag eingefügt werden. Sie finden ihn auf Siete 11 im SOZIALRECHT-JUSTAMENT 3/2025 oder mit folgendem Link: Link zum Screenshot Die Bundesagentur für Arbeit erzwingt damit die Einwilligung zur elektronischen Bekanntgabe von Verwaltungsakten. Wer die Online-Kommunikation nicht aktiviert, kann das jobcenter.digital nicht länger nutzen. Ohne den Verzicht auf die postalische Zustellung geht hier nichts mehr. Noch gilt nicht § 9 OZG, der von Betroffenen verlangt, selbst zu prüfen, ob neue Post im Portalpostfach liegt. Eine Benachrichtigung erfolgt per E-Mail (eine Zustimmung hierzu muss vorab erfolgen , um wei­terhin jobcenter.digital zu nutzen, siehe Abbildung oben): Ein zum Abruf bereitgestellter Verwaltungsakt gilt am vierten Tag nach Absendung der elektronischen Benachrichtigung über die Bereitstellung des Verwaltungsaktes an die abrufberechtigte Person als bekannt gegeben. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang der Benachrichtigung nachzuweisen . Die Änderungen sind aus der Binnensicht der Bundesagentur für Arbeit sinnvoll. Gewissermaßen sind sie schon ein Schritt zur nächsten Stufe, in der dann auf die E-Mail-Benachrichtigung verzichtet wird. Bisher ist dies rechtlich nicht möglich. Ob es rechtmäßig ist, dass die Einwilligung zur Online-Bekanntgabe dadurch erzwungen werden kann, dass bei Verweigerung der digitale Zugang komplett gesperrt wird, ist eine offene Frage. Rechtlich wird dies – wenn überhaupt – erst in weiter Zukunft geklärt werden. Ist die rechtswirksame elektronische Übermittlung für alle Schriftstücke anwendbar ? Die Informationen der Bundesagentur für Arbeit zur Online-Kommunikation sind rechtlich unpräzise, wenn es heißt Schriftstücke (Bescheide, Nachweise, Schreiben), Anträge und Postfachnachrichten im Leistungspostfach werden Ihnen ausschließlich online bereitgestellt . § 37 SGB X regelt nur die Bekanntgabe von Verwaltungsakten . Neben den Bewilligungs-, Ände­rungs‑, Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden sind dies beispielsweise auch Sanktionsbescheide. Besonders wichtig sind in diesem Zusammenhang auch Meldeaufforderungen, die bei Nichtbefol­gen sanktioniert werden. Meldeaufforderungen gelten als Verwaltungsakte und können daher rein elektronisch nach § 37 Abs. 2a SGB X erfolgen . Keine Verwaltungsakte sind dagegen Mitwirkungsaufforderungen, die mit Rechtsfolgenbelehrungen (Hinweis auf Versagung bei fehlender Mitwirkung) versehen sind. Für sie gilt § 37 SGB X nicht. Mit­wirkungsaufforderungen mit Rechtsfolgenbelehrungen müssen schriftlich erfolgen. Daher ist § 36a Elektronische Kommunikation SGB I zu beachten. Ob Aufforderungen zur Mitwirkung mit Rechtsfolgenbelehrung im Postfach von jobcenter.digital dem Erfordernis der Schriftform entsprechen, ist fraglich. Eine Versagung der Leistung wegen fehlender Mitwirkung mit Verweis auf eine Nachricht im Postfach dürfte m.E. rechtswidrig sein . Praktische Problem der Einwilligungserzwingung Der sanfte Zwang zur Digitalisierung wird weiter voranschreiten. So hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU bestätigt, dass es in naher Zukunft Pilotprojekte in ausgewählten Jobcentern zur vorrangigen Beantragung von Bürgergeld über das Portal jobcenter.digital geben soll (BT-Drucksache 20/12710 vom 2.10.24, Seite 10): Als eine Maßnahme der Digitalisierungsstrategie des BMAS soll eine vorrangig elektro­nische Beantragung von Bürgergeld (Haupt- und Weiterbewilligungsantrag) über das Portal „Jobcenter.Digital“ in ausgewählten gE [=Jobcenter in gemeinsamer Trägerschaft von Kommunen und Arbeitsagenturen] pilotiert werden . Das Vorhaben dient insbeson­dere der nutzendenzentrierten Weiterentwicklung des bestehenden Onlineangebotes und der entsprechenden Verwaltungsabläufe. Zur Feinplanung des Vorhabens stehen die BA und das BMAS aktuell im Austausch. Digitalisierung ist ein gestaltbarer Prozess und wird auch vom BMAS grundsätzlich als solcher begrif­fen. Daher ist zu hoffen, dass sich die Gestalter*innen des Projektes auch mit Problemen auseinan­dersetzen, die bei bestimmten benachteiligten Personengruppen durch eine strikte Digitalisierung entstehen können. Tatsächlich führen die Änderungen der »Geschäftsbedingungen« der Bundesagentur für Arbeit zu praktischen Problemen, die wohl bei der Implementierung der Änderungen nicht bedacht wurden. Beratungsstellen, die bisher den Digitalisierungsprozess durch Hilfen beim Einrichten des digitalen Zugangs unterstützten, raten aufgrund der Änderungen zur Benutzung von jobcenter.digital ab. Hierzu hat Karin Walraven vom Fachbereich Armut und Beschäftigung des Kreisdiakonieverbands im Landkreis Esslingen einen Bericht geschrieben, in dem sie ihre Erfahrungen zusammenfasst und Kon­sequenzen zieht. Click To Paste Click To Paste
von Bernd Eckhardt 22. Januar 2025
In der aktuellen Diskussion um die Digitalisierung der Sozialverwaltung wird darauf hingewiesen, dass eine erfolgreiche Digitalisierung nicht in der Digitalisierung bisher bestehender analoger Prozesse und Strukturen erfolgen kann. Vielmehr müssten Gesetze digitaltauglich gemacht werden. Dies gelte nicht nur für die inhaltliche Ausgestaltung, sondern auch für die organisatorischen Strukturen der Sozialverwaltung. Inhaltlich wird die Orientierung an die Einzelfallgerechtigkeit als größtes Hindernis bei der Digitalisierung genannt. Gleichzeitig wird behauptet, dass die Digitalisierung den Zugang zu den Sozialleistungen erleichtern würde, also die Effektivität des Sozialstaats erhöhen würde. Die Effektivität bemisst sich daran, dass Leistungsberechtigte die ihnen zustehenden Sozialleistungen auch tatsächlich erhalten. Die einzelfallbezogenen Gerechtigkeitsverluste würden - dieser Argumentation folgend - durch Gerechtigkeitsgewinne des erleichterten Zugangs (über)kompensiert werden
von Bernd Eckhardt 4. Januar 2025
Die Digitalisierung der Sozialverwaltung hat viele Facetten. Gegenwärtig gibt es einen Umbruch in der Diskussion um die Digitalisierung: Die Einführung neuer Technologien stellt die bisherige Struktur der Organisation sozialer Hilfen in Frage. Unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten werden diskutiert, die aber nicht die Technik betreffen, sondern die staatliche Organisation der Hilfesysteme. Für die Digitalisierung bedeutet dies einen Paradigmenwechsel: Digitalisierung wird nicht mehr als technisch-digitale Umsetzung vormals analoger Prozesse betrachtet, sondern die Gestaltung der Prozesse selbst gerät unter den Möglichkeiten der Digitalisierung ins Blickfeld.
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