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Facetten der Digitalisierung der Sozialverwaltung

Digitaliserung der Sozialverwaltung - ein Thema für die Soziale Arbeit

Die Digitalierung der Sozialverwaltung hat viele Facetten. Gegenwärtig gibt es einen Umbruch in der Diskussion um die Digitaliserung: Die Einführung neuer Technologien stellt die bisherige Struktur der Organisation sozialer Hilfen in Frage. Unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten werden diskutiert, die aber nicht die Technik betreffen, sondern die staatliche Organisation der Hilfesysteme. Für die Digitalisierung bedeutet dies einen Paradigmenwechsel: Digitalisierung wird nicht mehr als technisch-digitale Umsetzung vormals analoger Prozesse betrachtet, sondern die Gestaltung der Prozesse selbst gerät unter den Möglichkeiten der Digitalisierung ins Blickfeld. Die neue Online-Digitalisierung verdrängt dabei nicht die bestehende Digitalisierung in Form der Fachverfahren und der e-Akte. Allerdings wird die neue Online-Digitaliserung auch die vorhandene Digitaliserung verändern.

Ein kurzer Überblick zum Prozess der Digitalisierung

Den Grundstein der Digitalisierung in der Sozialverwaltung bilden elektronische Fachverfahren, ohne die seit vielen Jahren die Bearbeitung von Leistungsanträgen nicht möglich wäre. Die Fachverfahren werden stets weiterentwickelt und mit anderen Programmen verbunden, die z.B. die Bewirtschaftung der Mittel (auch Auszahlungen und Rückforderungen) teilautomatisiert durchführen oder die zur Auswertung von Daten notwendig sind. Der nächste Schritt der Digitalisierung bestand in der Einführung der e-Akte mit einem entsprechenden Dokumentenmanagmentsystem (DMS). Gegenwärtig steht die Umsetzung der Online-Digitalisierung im Fokus der Diskussion (Onlinezugangsgesetz). Sie wirft Gestaltungsfragen auf, die weit über technische Fragen hinausgehen. Doch betrachten wir zunächst, die etablierte Digitalisierung der Fachverfahren und der e-Akte.

Fachverfahren – Grundstein der Digitalisierung der Sozialverwaltungen

Bei Einführung der elektronischen Datenverarbeitung ging es zunächst darum, Teile der mit Formularen erhobenen »leistungserheblichen Tatsachen« automatisch zu bearbeiten. Komplexe Fachverfahren wurden für die einzelnen Sozialleistungsverfahren entwickelt und müssen ständig aktualisiert werden. Die Jobcenter in gemeinsamer Trägerschaft von Arbeitsagentur und Kommune setzen hierfür beispielsweise das Programm ALLEGRO ein, die rein kommunalen Träger fast immer Prosoz.

Gesetzliche Vorschriften der Leistungsberechnung lassen sich automatisieren. Der Gesetzgeber geht schon bei der Gestaltung der gesetzlichen Grundlagen davon aus, dass Vorgaben bezüglich der Rechenschritte automatisiert durchgeführt werden. Insofern stellen komplexe Berechnungsformeln kein Problem dar, da die elektronische Bearbeitung schon vorausgesetzt wird. 

Ebenso kann die Antragsbearbeitung und laufende Kontrolle des Leistungsfalls durch elektronische »Bearbeitungsaufforderungen« unterstützt werden. Mögliche Leistungsausschlüsse, -einschränkungen oder -erweiterungen werden systematisch erfasst und vom Programm abgefragt. Die Funktionen der Fachverfahren werden mit automatisierten Bewirtschaftungsprogrammen verbunden, die die Auszahlung der Leistung, aber auch die Geltendmachung von Rückforderungen (teil)automatisieren. 

Die Fachverfahren unterstützen darüber hinaus die Erstellung der Bescheide. Teilweise werden diese automatisch erstellt, teilweise stellen Fachverfahren Textbausteine zur Auswahl zur Verfügung. Bei der Anwendung von komplexen Fachverfahren entsteht leicht der Eindruck, dass sie das Gesetz vollständig abbilden und Anwender*innen lediglich die Anwendungsbeschreibung des Fachverfahrens benötigen, um ein rechtmäßiges Verwaltungsverfahren durchzuführen. In der Online-Anwendungsbeschreibung von ALLEGRO wird daher gleich zu Beginn gewarnt: 


»Die Online-Hilfe soll Sie beim Kennenlernen und Benutzen der Software ALLEGRO begleiten und unterstützen. Eine wichtige Voraussetzung für die Nutzung sind Ihre fachlichen Kenntnisse. Zum Erwerben der fachlichen Kenntnisse ist die Online-Hilfe nicht geeignet«.  


Dennoch müssen Mitarbeitende der Jobcenter der Software, auf die sie täglich angewiesen sind, insoweit vertrauen, dass gesetzliche Vorgaben im Programm rechtskonform implementiert sind. Der nächste Schritt der Digitalisierung bildete die Einführung der e-Akte.

Die e-Akte/DMS 

Ziel der Einführung der elektronischen Akte ist zunächst die Optimierung von Verfahrensabläufen durch schnelleren sachgerechten Zugriff. Gleichzeitig wird durch elektronische Berechtigungskonzepte der Datenschutz teilautomatisiert garantiert. Die Einführung der e-Akte setzt ein Dokumentenmanagementsystem voraus, das nach arbeitsorganisatorischen Vorgaben Dokumente in die E-Akte einsortiert, bzw. bei der Einsortierung unterstützt, und in einem weiteren Schritt bei der Bearbeitung strukturierende Hilfen bietet. Noch müssen viele Dokumente der e-Akte durch Scannen von Papierdokumenten erzeugt und per Hand in die e-Akte einsortiert werden. Seit Februar 2022 erfolgt im Bereich der Jobcenter in gemeinsamer Trägerschaft beim Scannen eine Texterkennung, so dass das Dokument mit Suchbegriffen analysiert werden kann. Allerdings muss die Texterkennung noch von den Mitarbeitenden der Jobcenter persönlich überprüft werden. Bei handschriftlichen Dokumenten findet bisher keine automatisierte Texterkennung statt. Nur elektronisch übermittelte standardisierte Formulare (über jobcenter.digital) können direkt in die e-Akte und in den laufenden Arbeitsprozess eingeordnet werden. Auf Daten dieser Dokumente kann dann direkt das Fachverfahren zugreifen. 

Das Onlinezugangsgesetz (zuletzt geändert am 19. Juli 2024)

Mit dem Onlinezugangsgesetz wurde die Grundlage für die nächste Stufe der Digitalisierung geschaffen: die Nutzung der Möglichkeiten des Internets . Die digitale Antragsstellung soll zum Regelfall werden. Während die Fachverfahren etabliert sind, die Einführung der e-Akte insgesamt doch ohne größere Probleme über die Bühne ging, verzögert sich die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes. Manche sprechen sogar vom Scheitern des Gesetzes. Das ändert allerdings nichts daran, dass Onlinezugänge zu einem zentralen Baustein der modernen Sozialverwaltung werden. 

Paradigmenwechsel in der Digitalisierung der Sozialverwaltung

Die aktuelle Diskussion der Digitalisierung der Sozialverwaltung durch Internetanbindungen hat meines Erachtens einen Paradigmenwechsel ausgelöst. Die bisherige Digitalisierung mit komplexen Fachverfahren und der Einführung der e-Akte ging davon aus, dass analoge behördliche Vorgänge digital abgebildet bearbeitet werden, ohne dass sich an den Vorgängen selbst etwas grundsätzlich ändern müsse. 

Die bisherige Digitalisierung hat die Gestaltung der Arbeit der Leistungsabteilungen betroffen und wurde dort entsprechend diskutiert. Für Leistungsberechtigte spielten die auf Arbeitsabläufe zielenden bisherigen Formen der Digitalisierung keine unmittelbare Rolle. Auch für die staatliche Organisation der Behördenstruktur sozialer Hilfen hatte die Digitalisierung keine Bedeutung. 

Die Einführung der Online-Digitalisierung wendet das Blatt. Die Online-Digitalisierung erfordert nicht nur die Neugestaltung von Gesetzen , sondern nach Meinung vieler auch eine Umgestaltung der Behörden . Keineswegs geht es nur darum, Daten und Nachweise von Bürger*innen online zur erhalten, sondern sie auch vernetzt nutzbar zu machen und automatisiert zu bearbeiten. Selbst die föderale Struktur des sozialen Hilfesystems wird infrage gestellt, wenn es der Struktur einer Online-Digitalisierungsstrategie im Wege steht. Die Ausrichtung der Online-Digitalisierung im Rahmen der sozialen Hilfen sind teilweise politisch umstritten. Dient sie der Verwirklichung sozialer Rechte als »Bringschuld« des Staates (so Lisa Paus zur geplanten Kindergrundsicherung: »Von der Hol- zur Bringschuld: Der Staat als Service-Dienstleister, ein echter Paradigmenwechsel«) oder sollen soziale Rechte nur diejenigen erhalten, die sich aktiv (und online) um ihre Rechte kümmern (so Christian Lindner: »Die Vorstellung, dass der Staat eine “Bringschuld” bei Sozialleistungen habe, finde ich verstörend«)? 

Die Online-Digitalisierung des Zugangs zu Sozialleistungen wirft zahlreiche Fragen auf: 

  • Ist logische Konsequenz des Online-Zugangs auch ein Lesezugriff auf die e-Akte? 
  • Erfordert das »Once-Only Prinzip«, nach dem Daten und Nachweise nur ein einziges Mal eingereicht werden müssen, eine Vereinheitlichung des Rechtsbegriffs des Einkommens bei allen Sozialleistungen? 
  • Ist die Schaffung eines zentralen Registers der Daten und Nachweise sinnvoll, auf die automatisiert zurückgegriffen werden kann? 
  • Besteht die Beantragung von Leistungen zukünftig lediglich in der Freigabe von Daten? 
  • Muss die Datennutzung der Sozialverwaltung den Bürger*innen transparent offengelegt werden?
  • Muss Datenschutz im Sinne von Transparenz über die Datennutzung weiterentwickelt werden?
  • Wie kann digitale Teilhabe gesichert und analoger Zugang offengehalten werden?

 

Onlinezugang und Künstliche Intelligenz

KI-Anwendungen werden zukünftig auch in die Sozialverwaltung Eingang finden, z.B. um im Fachverfahren unplausible Eingaben aufzuspüren oder eingescannte Dokumente automatisch einzusortieren (z.B. erkennen, dass es sich um einen Mietvertrag handelt). Diese Anwendungen werden interne Arbeitsabläufe unterstützen. Ein anderer Bereich, in dem KI-Anwendungen eine Rolle spielen können, ist der Bereich der Online-Beratung Leistungsberechtigter. Hier stehen die KI-Anwendungen allerdings erst am Anfang. Noch bieten KI-basierte Chatboxes wenig zuverlässige Antworten. Das kann sich aber schon bald ändern. 


Zu den Aspekten der aktuellen Diskussion zur Online-Digitalisierung werde ich zukünftig auf dieser Seite in unregelmäßigen Abständen schreiben. Die Gestaltung des Prozesses der Digitalisierung der Sozialverwaltung und des Online-Zugangs ist nicht technisch vorgegeben, es gibt viele Möglichkeiten der Gestaltung. Die Soziale Arbeit sollte sich mit den Gestaltungsmöglichkeiten der Digitalisierung auseinandersetzen und sich mit ihrer Kompetenz einbringen.

Wer Beiträge zum Thema hat, kann sie mir gerne zur Veröffentlichung in dem Blog zuschicken.


Digitalisierung und soziale Rechte

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