SOZIALRECHT-JUSTAMENT       

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Digitalisierungstaugliche Gesetze – das Ende der Einzelfallgerechtigkeit als Konsequenz einer modernen Digitalisierungsstrategie?


In der aktuellen Diskussion um die Digitalisierung der Sozialverwaltung wird darauf hingewiesen, dass eine erfolgreiche Digitalisierung nicht in der Digitalisierung bisher bestehender analoger Prozesse und Strukturen erfolgen kann. Vielmehr müssten Gesetze digitaltauglich gemacht werden. Dies gelte nicht nur für die inhaltliche Ausgestaltung, sondern auch für die organisatorischen Strukturen der Sozialverwaltung. Inhaltlich wird die Orientierung an die Einzelfallgerechtigkeit als größtes Hindernis bei der Digitalisierung genannt. Gleichzeitig wird behauptet, dass die Digitalisierung den Zugang zu den Sozialleistungen erleichtern würde, also die Effektivität des Sozialstaats erhöhen würde. Die Effektivität bemisst sich daran, dass Leistungsberechtigte die ihnen zustehenden Sozialleistungen auch tatsächlich erhalten. Die einzelfallbezogenen Gerechtigkeitsverluste würden - dieser Argumentation folgend - durch Gerechtigkeitsgewinne des erleichterten Zugangs (über)kompensiert werden.


So stellt beispielsweise Werner Achtert[1], Geschäftsbereichsleiter Public Sector, msg systems, in einem Gastbeitrag im Handelsblatt am 10.12.2024 fest:


Das verfassungsrechtliche Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit setzt der Automatisierung in Verwaltungsprozessen enge Grenzen. Die einschlägigen Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes, der Abgabenordnung und der Sozialgesetzgebung erlauben automatisierte Entscheidungen nur in Fällen ohne Ermessensspielraum.

In unserem Rechtssystem mit immer komplexeren Abhängigkeiten zwischen einer steigenden Anzahl an Gesetzen führt das Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit zu hohem manuellem Aufwand, langen Bearbeitungszeiten und letztendlich zu weniger Gerechtigkeit des Gesamtsystems.


Das Argument, dass eine hohe Einzelfallgerechtigkeit zu weniger Gerechtigkeit in der Gesamtheit führt, wurde auch vom Nationalen Normenkontrollrat vertreten (vgl. SOZIALRECHT-JUSTAMENT Oktober 2024 in Gesamtausgabe 2024, Seite 88 ff.)[2]. Das Argument lautet: Die Orientierung an Einzelfallgerechtigkeit verhindert eine Steigerung der Effizienz und Effektivität der Sozialverwaltung durch Digitalisierung. »Effektivität« bezeichnet hierbei die Erreichung des Ziels, dass Sozialleistungen bei denen ankommen, die einen Anspruch darauf haben. »Effizienz« bezeichnet dabei den Verwaltungsaufwand, der zur Bewilligung der Leistung benötigt wird. Die Einzelfallgerechtigkeit erschwert demnach einen einfachen Zugang zu den Leistungen. In einem gemeinsamen Appell von Leiter*innen von Sozialämtern in Großstädten heißt es (2024):


Durch eine einheitliche Pauschalierung von Geldleistungen in den Sozialgesetzbüchern kann der Bürokratieaufwand erheblich minimiert werden; dieser steht in keinem Verhältnis zu der angestrebten Einzelfallgerechtigkeit kleinteiliger Berechnungssysteme.

Weiter:

Tatsächlich ist zum Beispiel anhand der Menge an Rechtsbehelfen im Bereich des SGB II und deren Erfolgsquoten zu erkennen, dass die Einzelfallgerechtigkeit, aufgrund der Komplexität der Rechtsnormen, häufig durch die Betroffenen erstritten werden muss. Demgegenüber dürfte eine nicht unerhebliche Anzahl an Personen stehen, die ihre Rechte nicht (er)kennen und durchsetzen. Dem entsprechend ist tatsächlich die stärkere Pauschalierung ein Weg zu einem Mehr an Einzelfallgerechtigkeit.


Spätestens hier stellt sich die Frage, was das überhaupt ist, die Einzelfallgerechtigkeit: Ist es ein »verfassungsrechtliches Prinzip«? Oder gibt es nur Einzelfälle, die dann summiert zu einem Mehr an Einzelfallgerechtigkeit addiert werden können?


Der Einzelfall ist doppeldeutig. Jeder sozialrechtliche Bescheid regelt einen Einzelfall (§ 31 SGB X): »Verwaltungsakt ist jede Verfügung, oder Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist«. Daher gibt es nur Einzelfälle.

Der Einzelfall ist demnach nicht das Besondere, sondern die Einzelfallgerechtigkeit. Es liegen Tatsachen vor, das Bestehen von Sachverhalten, die einen »Gerechtigkeitsfall« auslösen. Der Fall ist dann nicht nach den abschließend im Gesetz geregelten Tatbeständen zu beurteilen.


Ein »Gerechtigkeitsfall« entsteht aber nicht dadurch, dass das Gerechtigkeitsgefühl in der Sozialverwaltung angesprochen wird, sondern: Das Vorliegen eines Gerechtigkeitsfalls muss in der Rechtsprechung gewissermaßen »präjudiziert« sein. Das Bundessozialgericht hat zum Beispiel festgestellt, dass angemessene Kosten der Wahrnehmung des Umgangsrechts einen unabweisbaren Bedarf darstellen. Das Sozialrecht bietet mit seinen unbestimmten Rechtsbegriffen (zum Beispiel:»angemessen«, »erforderlich«) viele Möglichkeiten der Weiterentwicklung des Rechts in Form des sogenannten Richterrechts. Damit entstehen zahlreiche Grundsatzentscheidungen des Bundessozialgerichts, die aber keineswegs formalisierbare Präzedenzfälle darstellen (sollen). Die umfangreiche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur »konkreten Angemessenheit« der Unterkunftskosten vermeidet systematisch, Präzedenzfälle zu schaffen: Eine Erhöhung der Grenze angemessener Unterkunftskosten bei Alleinerziehenden (aufgrund des fehlenden Synergieeffektes eines gemeinsamen Schlafzimmers mit dem/der Partner*in) muss in jedem Einzelfall entschieden werden. Dabei seien dann das Alter der Kinder, der Zuschnitt der Wohnung usw. zu berücksichtigen. Auch bei der Erhöhung der angemessene Unterkunftskosten aufgrund des Besuches umgangsberechtigter Kinder muss der Einzelfall betrachtet werden. Mehrbedarfe im Rahmen des Umgangsrechts müssen laut Bundessozialgericht ebenfalls für jeden Fall extra nachgewiesen werden.


Aus der Sicht einer Digitalisierungsstrategie sind diese Grundsatzentscheidungen, aus denen hervorgeht, wann ein »Gerechtigkeitsfall« vorliegt, aber nicht wie er jeweils zu entscheiden ist, ein Hindernis bei der Automatisierung. Die Lösung wird allerdings vorschnell in der Pauschalisierung von Leistungen und Vereinfachung von Gesetzen gesehen, obwohl sich Software-Entwickler – wie das Eingangszitat von Werner Achtert zeigt - durchaus der verfassungsrechtlichen Grenzen dieser Lösung bewusst sind.


Vereinfachung und Pauschalisierung oder Lösung von Komplexität durch Steigerung der Komplexität?


Jede Vereinfachung steigert Komplexität, und zwar eine Komplexität, die nicht irgendwo anfällt, sondern genau da, wo vereinfacht wurde. Das Einfache ist nicht der Gegenbegriff zum Komplexen, sondern ein Moment der zur Steigerung der Komplexität beitragenden Komplexitätsbewältigung.[3]


Tatsächlich könnten viele Grundsatzentscheidungen in Form differenzierter Pauschalisierungen Eingang in die Sozialgesetze finden. Natürlich müssten dann diese ausdifferenzierten pauschalisierten Bedarfe auch ermittelt, das heißt abgefragt werden. Der Vorteil wäre aber: Das alles ließe sich dann digitalisiert bearbeiten. Die Menge der Informationen ist für die Digitalisierung kein Hindernis. Auch das systematische Abfragen von Sachverhalten ist digital strukturierter möglich als analog. Viele Fälle, die jetzt Fälle der Einzelfallgerechtigkeit darstellen, würden gewissermaßen "normalisiert", ohne dass deshalb die besonderen Bedarfslagen unberücksichtigt blieben. Im besten Fall wäre dann für die verbliebenen Fälle mit Fragen der Einzelfallgerechtigkeit mehr Zeit zur analogen Bearbeitung und Beratung.


[i]

https://table.media/wp-content/uploads/2024/12/03163714/Sozialaemter_Appell.pdf?utm_source=bluesky&utm_medium=social&utm_campaign=tm_bluesky_h7g&utm_content=dokument_exklusiv_appell_sozial%C3%A4mter


  [1] https://live.handelsblatt.com/das-prinzip-der-einzelfallgerechtigkeit-schraenkt-die-effizienz-der-verwaltung-ein/#:~:text=Das%20verfassungsrechtliche%20Prinzip%20der%20Einzelfallgerechtigkeit,nur%20in%20F%C3%A4llen%20ohne%20Ermessensspielraum.

Werner Achtert ist auch Mitautor der gemeinsamen Broschüre vom Nationalen Normenkontrollrat, der Software-Firma msg und der Ruhr-Universität Bochum (Institut für Steuerrecht und Steuervollzug) mit dem Titel »Digitale Verwaltung braucht digitales Recht – der modulare Einkommensbegriff« (Juni 2021): https://www.it-planungsrat.de/fileadmin/beschluesse/2021/Beschluss2021-27_Einkommensbegriff.pdf


[2] So ausdrücklich auch von Sabine Kuhlmann (stellvertretende Vorsitzende des Nationalen Normenkontrollrates) bei einem digitalen Kurzworkshop (»Hot Topic) des Deutschen Instituts für interdisziplinäre Sozialforschung (DIFIS) am 9. Juli 2024


[3] Dirk Baecker: Fehldiagnose „Überkomplexität“. Komplexität ist die Lösung, nicht das Problem. In: gdi impuls 4 (1992), S. 55–62, hier S. 56.

Digitalisierung und soziale Rechte

von Bernd Eckhardt 29. März 2025
Entgegen der ersten Auskunft der Bundesagentur für Arbeit und Informationen der Jobcenter ist ein Upload von Unterlagen auch ohne Zustimmung zur Online-Kommunikation möglich
von Karin Walraven (Fachbereich Armut und Beschäftigung des Kreisdiakonieverbandes im Landkreis Esslingen) 4. März 2025
Im Jahr 2024 war in meiner Beratungsarbeit mit Menschen, die im Bürgergeldbezug sind, immer wieder der digitale Kontakt mit dem Jobcenter Thema. Damals lief es über eine Anmeldung auf der Webseite jobcenter.digital. Die überwiegende Mehrzahl meiner Klienten hat keinen Computer, aber ein Handy. Meist wird das Handy nur zum Telefonieren, für Whatsapp, Bilder machen und im Internet surfen genutzt. Weiter- und tiefergehende digitale Kompetenzen sind nicht vorhanden und schwer erlernbar. Alle Klienten hatten bisher ihre Unterlagen als Kopien an das Jobcenter geschickt, vor Ort eingeworfen oder sogar zur Abgabe einen Termin vereinbart. Unterlagen, die in Papierform beim Jobcenter eingehen können nach Hotline-Angaben und Erfahrungen aus der Praxis gut fünf bis sieben Arbeitstage benötigen, bis sie im Computersystem des Jobcenters vorliegen. Ab da zählt auch die interne Bearbeitungsfrist. Mit Unterstützung und oft über mehrere Beratungsgespräche hinweg war es
von Bernd Eckhardt 4. März 2025
Seit 18.11.2024 - Änderung der »Geschäftsbedingungen« beim jobcenter.digital: digitale Bekanntmachung von Verwaltungsakten Rechtliche Grundlagen der elektronischen Bekanntmachung von Verwaltungsakten im Sozialrecht Die Möglichkeit, einen Verwaltungsakt online bekanntzugeben, ist im § 9 des Onlinezugangsgeset­zes geregelt. Im Bereich des Sozialgesetzbuches gilt allerdings eine Spezialregelung, die § 9 OZG zu­mindest derzeit noch verdrängt. In § 37 Abs. 2a SGB X ist die digitale Bekanntmachung eines Ver­waltungsaktes durch Abruf über zugängliche Netze wie das Portal jobcenter.digital geregelt. In § 37 Abs. 2b SGB X ist festgelegt, dass bei Angelegenheiten des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes abweichend schon jetzt § 9 OZG anzuwenden ist. In der Gesetzesbegründung wird deutlich, dass mittelfristig die Aufgabe der sozialrechtlichen Son­derregelung angestrebt wird. § 37 Abs. 2a SGB II kann zumindest politisch als Übergangsregelung angesehen werden. So heißt es in der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 19/23774, Beschluss­empfehlung und Bericht Ausschuss für Inneres und Heimat vom 28.10.2020, Seite 26): Die mit der Bekanntgabe nach § 9 OZG verknüpfte Obliegenheit der Bürgerinnen und Bürger, das Portal regelmäßig auf Eingänge zu kontrollieren (vgl. dem Hausbriefkas­ten) soll zunächst schwerpunktmäßig im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht er­probt werden. Die Regelungen zur Bekanntgabe von elektronischen Verwaltungsakten zum Abruf mit Fiktionswirkung sollen nach der Evaluierung des § 9 OZG noch einmal in einer Gesamtschau mit der Zielsetzung einer einheitlichen Regelung geprüft werden. Die Erfahrungen mit der Bekanntgabe nach § 9 OZG, die beim Elterngeld gemacht werden, sollen bis Dezember 2025 evaluiert werden (ebd.): Die hiermit gewonnenen Erfahrungen können in eine zukünftige Prüfung einfließen, ob die Regelung zur Bekanntgabe in § 9 OZG gegebenenfalls auch hinsichtlich weiterer Sozialleistungsbereiche übernommen wird. Klar ist, dass die Politik mittelfristig eine einheitliche Möglichkeit der Bekanntgabe nach § 9 OZG anstrebt. Bis dahin gilt im Bereich des SGB II, dass § 37 Abs. 2a SGB X im Bereich des SGB II anzu­wenden ist . § 37 Abs. 2a Sätze 1 bis 3 SGB X lautet seit dem 10.12.2020: Mit Einwilligung des Beteiligten können elektronische Verwaltungsakte bekannt gege­ben werden, indem sie dem Beteiligten zum Abruf über öffentlich zugängliche Netze bereitgestellt werden . Die Einwilligung kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft wi­derrufen werden . Die Behörde hat zu gewährleisten, dass der Abruf nur nach Authenti­fizierung der berechtigten Person möglich ist und der elektronische Verwaltungsakt von ihr gespeichert werden kann. Neue Geschäftsbedingung der BA zur Nutzung von jobcenter.digital: ohne freiwillige Einwilligung kein Account Nun hat die Bundesagentur für Arbeit im Bereich des jobcenter.digital seine »Geschäftsbedingun­gen« so geändert, dass das jobcenter.digital nur noch nutzbar ist, wenn eine Einwilligung zur elekt­ronischen Bekanntgabe des Verwaltungsaktes vorliegt . Wer seit dem 18.11.2024 weiterhin jobcenter.digital nutzen will, muss der digitalen Bekanntgabe von Verwaltungsakten zustimmen. Die Änderungen der »Geschäftsbedingungen« der Bundesagentur für Arbeit beschränken den Zu­gang zum jobcenter.digital auf einen Anwenderkreis, der bereit ist, Bescheide nur noch elektronisch im Portal zu empfangen. Wer nicht dazu bereit ist, kann nunmehr jobcenter.digital nicht weiter nut­zen. Auf der folgenden Seite finden Sie die Informationen eines Jobcenters zu den Änderungen, die bundesweit ab dem 18.11.2024 für Jobcenter in gemeinsamer Trägerschaft von Kommunen und der Arbeitsagentur gelten: Leider kann der Srennshot nicht in den Blog-Beitrag eingefügt werden. Sie finden ihn auf Siete 11 im SOZIALRECHT-JUSTAMENT 3/2025 oder mit folgendem Link: Link zum Screenshot Die Bundesagentur für Arbeit erzwingt damit die Einwilligung zur elektronischen Bekanntgabe von Verwaltungsakten. Wer die Online-Kommunikation nicht aktiviert, kann das jobcenter.digital nicht länger nutzen. Ohne den Verzicht auf die postalische Zustellung geht hier nichts mehr. Noch gilt nicht § 9 OZG, der von Betroffenen verlangt, selbst zu prüfen, ob neue Post im Portalpostfach liegt. Eine Benachrichtigung erfolgt per E-Mail (eine Zustimmung hierzu muss vorab erfolgen , um wei­terhin jobcenter.digital zu nutzen, siehe Abbildung oben): Ein zum Abruf bereitgestellter Verwaltungsakt gilt am vierten Tag nach Absendung der elektronischen Benachrichtigung über die Bereitstellung des Verwaltungsaktes an die abrufberechtigte Person als bekannt gegeben. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang der Benachrichtigung nachzuweisen . Die Änderungen sind aus der Binnensicht der Bundesagentur für Arbeit sinnvoll. Gewissermaßen sind sie schon ein Schritt zur nächsten Stufe, in der dann auf die E-Mail-Benachrichtigung verzichtet wird. Bisher ist dies rechtlich nicht möglich. Ob es rechtmäßig ist, dass die Einwilligung zur Online-Bekanntgabe dadurch erzwungen werden kann, dass bei Verweigerung der digitale Zugang komplett gesperrt wird, ist eine offene Frage. Rechtlich wird dies – wenn überhaupt – erst in weiter Zukunft geklärt werden. Ist die rechtswirksame elektronische Übermittlung für alle Schriftstücke anwendbar ? Die Informationen der Bundesagentur für Arbeit zur Online-Kommunikation sind rechtlich unpräzise, wenn es heißt Schriftstücke (Bescheide, Nachweise, Schreiben), Anträge und Postfachnachrichten im Leistungspostfach werden Ihnen ausschließlich online bereitgestellt . § 37 SGB X regelt nur die Bekanntgabe von Verwaltungsakten . Neben den Bewilligungs-, Ände­rungs‑, Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden sind dies beispielsweise auch Sanktionsbescheide. Besonders wichtig sind in diesem Zusammenhang auch Meldeaufforderungen, die bei Nichtbefol­gen sanktioniert werden. Meldeaufforderungen gelten als Verwaltungsakte und können daher rein elektronisch nach § 37 Abs. 2a SGB X erfolgen . Keine Verwaltungsakte sind dagegen Mitwirkungsaufforderungen, die mit Rechtsfolgenbelehrungen (Hinweis auf Versagung bei fehlender Mitwirkung) versehen sind. Für sie gilt § 37 SGB X nicht. Mit­wirkungsaufforderungen mit Rechtsfolgenbelehrungen müssen schriftlich erfolgen. Daher ist § 36a Elektronische Kommunikation SGB I zu beachten. Ob Aufforderungen zur Mitwirkung mit Rechtsfolgenbelehrung im Postfach von jobcenter.digital dem Erfordernis der Schriftform entsprechen, ist fraglich. Eine Versagung der Leistung wegen fehlender Mitwirkung mit Verweis auf eine Nachricht im Postfach dürfte m.E. rechtswidrig sein . Praktische Problem der Einwilligungserzwingung Der sanfte Zwang zur Digitalisierung wird weiter voranschreiten. So hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU bestätigt, dass es in naher Zukunft Pilotprojekte in ausgewählten Jobcentern zur vorrangigen Beantragung von Bürgergeld über das Portal jobcenter.digital geben soll (BT-Drucksache 20/12710 vom 2.10.24, Seite 10): Als eine Maßnahme der Digitalisierungsstrategie des BMAS soll eine vorrangig elektro­nische Beantragung von Bürgergeld (Haupt- und Weiterbewilligungsantrag) über das Portal „Jobcenter.Digital“ in ausgewählten gE [=Jobcenter in gemeinsamer Trägerschaft von Kommunen und Arbeitsagenturen] pilotiert werden . Das Vorhaben dient insbeson­dere der nutzendenzentrierten Weiterentwicklung des bestehenden Onlineangebotes und der entsprechenden Verwaltungsabläufe. Zur Feinplanung des Vorhabens stehen die BA und das BMAS aktuell im Austausch. Digitalisierung ist ein gestaltbarer Prozess und wird auch vom BMAS grundsätzlich als solcher begrif­fen. Daher ist zu hoffen, dass sich die Gestalter*innen des Projektes auch mit Problemen auseinan­dersetzen, die bei bestimmten benachteiligten Personengruppen durch eine strikte Digitalisierung entstehen können. Tatsächlich führen die Änderungen der »Geschäftsbedingungen« der Bundesagentur für Arbeit zu praktischen Problemen, die wohl bei der Implementierung der Änderungen nicht bedacht wurden. Beratungsstellen, die bisher den Digitalisierungsprozess durch Hilfen beim Einrichten des digitalen Zugangs unterstützten, raten aufgrund der Änderungen zur Benutzung von jobcenter.digital ab. Hierzu hat Karin Walraven vom Fachbereich Armut und Beschäftigung des Kreisdiakonieverbands im Landkreis Esslingen einen Bericht geschrieben, in dem sie ihre Erfahrungen zusammenfasst und Kon­sequenzen zieht. Click To Paste Click To Paste
von Bernd Eckhardt 4. Januar 2025
Die Digitalisierung der Sozialverwaltung hat viele Facetten. Gegenwärtig gibt es einen Umbruch in der Diskussion um die Digitalisierung: Die Einführung neuer Technologien stellt die bisherige Struktur der Organisation sozialer Hilfen in Frage. Unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten werden diskutiert, die aber nicht die Technik betreffen, sondern die staatliche Organisation der Hilfesysteme. Für die Digitalisierung bedeutet dies einen Paradigmenwechsel: Digitalisierung wird nicht mehr als technisch-digitale Umsetzung vormals analoger Prozesse betrachtet, sondern die Gestaltung der Prozesse selbst gerät unter den Möglichkeiten der Digitalisierung ins Blickfeld.
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